Radpilgerwege Rhein Maas – Etappe 2 v. 10
Radpilgerwege Rhein Maas – Etappe 2 v. 10. Es ist Anfang März. Tagelange Regenschauer haben sich über den Niederrhein ergossen. Nach der langen Hitzeperiode aus dem Jahre 2019 war ein solcher Wetterumbruch schon lange erwünscht. Sind die Böden bis ca. 30 cm (endlich) ausreichend gewässert, so konnte man jedoch bei Probeentnahmen feststellen, dass die Böden sich in tieferen Gefilden, immer noch nicht ausstreichend erholt haben. Die Folgen sind jetzt leicht auszumachen. Ein leichtes und verfrühtes Hochwasser! Ist die Oberfläche schlagartig gesättigt, so wird das anfallende Wasser verdrängt. Eine natürliche und schnelle Versickerung ist somit nicht mehr ausreichend möglich, sodass sich das Wasser „einen neuen Weg sucht.“
„Einen neuen Weg suchen!“ So könnte man heute aus pragmatischer Sicht meine Tour im Groben beschreiben. Dazu später mehr!
Der Radpilgerweg in der Etappe 2 beginnt mit tollem Sonnenschein in der kleinen Grenzstadt Kranenburg. Von der St. Peter und Paul Kirche fahre ich über ein kleines Gässchen zum ehemaligen Bahnhof, wo heute das „Tourist Information Center Alter Bahnhof„, ein Café und ein Draisineverleih ansässig sind.
Infos zum ehemaligen Kranenburger Bahnhof: >>Die Bahnverbindung von Kleve ins niederländische Nijmegen wurde am 9. August 1865 von der Rheinischen Eisenbahngesellschaft eröffnet. Die Linie verlief in einem Bogen durch die Rhein-Niederung nördlich am Klever Reichswald vorbei. In den Jahren 1911–1913 wurde das zweite Gleis der Strecke gebaut und an den Erweiterungen der Gleisanlagen im Bahnhof Kranenburg wurde noch bis 1915 gearbeitet. Weil der Klever Bahnhof stark ausgelastet war, wurde die Zollabfertigung für den Reiseverkehr nach Kranenburg verlegt, wo 1911 ein neues Empfangsgebäude mit einer großen Zollhalle in Betrieb genommen wurde. Der erste Reisezug nach dem Zweiten Weltkrieg verkehrte erst im Mai 1949 zwischen Kranenburg und Nimwegen. 1956 wurde das zweite Gleis abgebaut. 1978 wurde der Güterverkehr von Kranenburg nach Nimwegen eingestellt und die Gleisanlagen des Bahnhofes vereinfacht. Dadurch verlor der Bahnhof Kranenburg den größten Teil seiner früheren Bedeutung. Nachdem auch die Reisegeschwindigkeit im Jahre 1989 gesenkt wurde, erfolgte die Einstellung des Zugverkehrs am 27. September 1991.<< (Quelle: KuLaDig / LVR (Claus Weber, LVR-Reaktion KuLaDig, 2017)
Auch ich durfte als Kind mit dem Zug aus Kranenburg fahren. Und zwar im Jahr 1987. Damals war nämlich Papst Johannes Paul II. zu Gast in Kevelaer. – mit dem Wallfahrts-Zug zum Papst: Ein Riesending! Gerne erinnere ich mich an die kleinen aus Pappe bestehenden Fahrkarten zurück. Am meisten habe ich mich jedoch über die Fahrkartenkontrolle gefreut. Kam der auf mich noch autoritär wirkende Schaffner zur Fahrkartenkontrolle so habe ich gerne meine Fahrkarte lochen lassen. Das war für mich der Moment, wo die Gültigkeit meiner Zugreise offiziell bestätigt wurde.
Ich verlasse den ehemaligen Bahnhof, und mache mich auf in Richtung „Galgensteeg“ am Rande des Reichswaldes. Die typische Jakobsmuschel zeigt mir den Weg. Es geht ein wenig „bergauf“ und bevor ich den Reichswald passiere, schaue ich noch einmal zurück auf die Kirche von Kranenburg, die sich aus der Ferne wie eine Festung in den Niederungen gibt.
Im Reichswald angekommen, beginnt ein toller Weg, der stellenweise extrem hügelig ist. Schuld daran sind die alten Stauchmoränen die sich hier in der Eiszeit gebildet haben. Schnell sind hier 30–70 HM auf einer Distanz von 100 Längenmetern möglich. Der Weg ist zum Teil durch die jetzigen Nässepassagen mit den aufgeweichten Böden schwer passierbar. Improvisation ist angesagt und ich hangele mich durch die Gegebenheiten, was nicht immer ganz einfach fällt.
Auch bemerke ich, dass die GPX Informationen stellenweise veraltet sind. Dem tut aber kein Abbruch, denn schon in Kürze überquere ich die Bundesstraße in Richtung Gelderberg. Hier an der Bundesstraße gibt es etwas Interessantes zu beobachten: Der Reichswald beherbergt noch eine Menge an Rot- und Schwarzwild. Ein Feld / Wildschutzzaun am Rande der Bundesstraße soll die natürliche Wanderung oder das unkontrollierte Auswechseln des Wildes unterbinden, was jedoch nur stellenweise funktioniert. Damit durch ein akustisches Signal das Wild von der Straße ferngehalten wird, hat man Gitterroste in die Straße eingelassen. Sobald ein Auto den Gitterrost überfährt ertönt ein recht eigenwilliges und lautes Geräusch, welches man noch tief in den Wald hören kann. Die Bundesstraße mit dem Namen „Kranenburger Straße“ ist im übrigen gerade für die PKW Verkehr eines der gefährlichsten Straße im Kreis Kleve, wenn man das Thema Wildwechsel im Vordergrund rückt. Schon viele Wildunfälle hat es in der Vergangenheit gegeben, so das im weiteren Straßenverlauf zusätzlich ein ausgeklügeltes Wildwarnsystem per Lichtschranke für die PKW Fahrer installiert wurde.
Ich erreiche den Geldenberg. Das Naturschutzgebiet Geldenberg liegt auch auf einer Stauchmoräne aus der Eiszeit. Das heißt, dass für den typischen Niederrhein auch hier einige Höhenmeter anfallen. Die Böden sind im durchschnittlichen Jahresverlauf relativ trocken und nährstoffarm. Das Gebiet ist fast vollständig von Buchenwäldern bedeckt. Nur stellenweise sind Eichen aufzufinden. Da Buchen zum Ende Ihrer Lebenszeit brechen und weniger als Eichen durch z. B. Sturm kippen, hat der Abschnitt Geldenberg einen waren Totholz Schatz aufzuweisen. Speziell die Teile, die in den 1970er und 1990er Jahren aus der Nutzung genommen wurden. Sie weisen besonders viel Totholz auf und sind ein besonderer Lebensraum für eine sehr große Zahl von Fledermäusen und höhlenbrütenden Vogelarten.
Oben auf dem Geldenberg befindet sich ein aus den 60er Jahren gebaute Feuerwachturm. Besonders in den Trockenperioden, in denen die Waldbrandgefahr sehr groß ist, ist er fast durchgängig besetzt. Von ganz oben aus hat man einen sehr guten Ausblick über weite Teile des Reichswaldes. Da gerade die Kiefer- und Fichtenbestände extrem Brand-empfindlich sind und im Brandfall blitzartig große Bestände vernichtet können, ist dieser Turm sozusagen die „Lebensversicherung“ des Waldes.
Nach vielen Höhenmetern kommt wie bekannt auch dann endlich die Abfahrt. Ohne eine großes „Hinzutun“ werden auf dem Fahrrad schnell Geschwindigkeiten von 40–50 km/h erreicht. Da es eine lange Abfahrt ist, macht es richtig Spaß, mal außer der Rheine kurzfristig den Geschwindigkeitsrausch zu genießen.
Am Ende der Abfahrt erreiche ich die wohl bekannteste Kriegsgräberstätte von Kleve. Es ist der britische Ehrenfriedhof des Commonwealth in Deutschland, der auch historisch den traurigsten Teil des Reichswaldes mahnt.
>>Der Ehrenfriedhof ist flächenmäßig der größte britische Soldatenfriedhof unter den 15 in Deutschland liegenden Sammelfriedhöfen, mit insgesamt 7.654 Gräbern. Rechter Hand des Eingangs sind annähernd 4000 Besatzungsmitglieder von Kampfflugzeugen, unter ihnen 706 Kanadier, bestattet. Linker Hand weitere Soldaten, die bereits in den Jahren 1940–1944 im Luftkrieg den Tod fanden. Daneben sind viele Männer bestattet, die den Tod bei den Endgefechten im Rheinland, bei der Rheinquerung und bei der Schlacht im Reichswald vom 8. bis 13. Februar 1945 fanden.<< Quelle: Wikipedia
Exakt vor 75 Jahren tobte auch hier der 2. Weltkrieg in seinen schlimmsten Ausmaßen. Mit einer der enormsten Militäroperation „Operation Veritable“ (Die Schlacht im Reichswald) sollte das westliche Rheinufer zurückgewonnen und der Rhein letztendlich überquert werden. Hierzu wurden unzählige britische, kanadische und US-amerikanische Soldaten zusammengezogen, um die Achsenmächte in Richtung Deutschland zurückzudrängen. Diese Operation war ein Erfolg – auf kosten unzähliger toten Menschen.
Einen Film – Auszug über die Operation Veritable kann –> HIER <–angesehen werden.
Nach einer Odyssee aus schlammigen Passagen kämpfe ich mich immer weiter durch den Wald in Richtung Kessel. Links und rechts des Weges kann man gut beobachten, dass der Reichswald in großen Teilen ein reiner Nutzwald ist. Viel Holz wurde in der Vergangenheit geschlagen. Die entstehenden Lichtungen werden im Rahmen einer Naturverjüngung wieder neu bepflanzt. Dieser Zyklus ist allgegenwärtig. Denn schon zu Zeiten wo der Wald noch Ketelwald hieß, musste er für viele Dinge herhalten. Gejagtes Wild, Viehfutter, Stelleinstreu sowie Harz und Kohle sind nur einige Produktbeispiele, die aus dem Wald gewonnen worden. Auch das Köhler Handwerk hatte sich damals in der Region stark gefestigt. Wer ein bisschen darauf achtet, wird an vielen Stellen die alten weissen Abteilungssteine sehen, die bis heute der Orientierung und der Kartografie des Reichswaldes dienen.
Endlich erreiche bei Kessel wieder kräftigen Boden unter den Rädern. Bei einer kleinen Pause beginne ich damit mein Fahrrad mithilfe von altem Laub zu reinigen. Kette, Schaltauge Felgen und Schutzbleche hatten sich mittlerweile zu einem großen Matsch klumpen angetrocknet. Mir grauste es bereits jetzt an dem Gedanken, wie lange ich mein Radel später noch putzen muss. Aber egal, das schlimmste war wohl überstanden, dachte ich …
Eine kleine Waldrandpassage brachte mich ohne weitere Vorkommnisse in Richtung Niersbrücke in Kessel. Hier war das Hochwasser bereits voll im Gange. Breit war das Wasser über die Ufer getreten, und ehe ich mich versah, war auch schon nach Überquerung der Brücke Schluss mit Lustig. Der Weg war weg und alle was ich sah, war das der Rad- und Wanderweg ca. 25 Meter teil des „neuen Niers Flussbettes“ geworden ist. Ein Alternativweg kam für mich an dieser Stelle jedoch nicht infrage, und so entschloss ich mich die Tiefe nicht weiter zu prüfen, um mit einem kräftigen Schwung das andere Ufer zu erreichen.
Wie naiv kann man eigentlich sein, frage ich mich und laufe mit dem Rad knöchelhoch durchs Wasser. Mein erdachter Schwung entpuppte sich als die wohl blödeste Idee, die ich jemals beim Radfahren gehabt habe. Schon nach ein paar Metern war das Rad mitsamt dem Motor unter Wasser. Vorteil: Es war wieder sauber. Nachteil: Ich war durchnässt, und habe vielleicht den Motor soeben geschrottet.
Endlich am anderen Ufer angekommen traute ich mich nicht mehr den Motor anzumachen. Ich fuhr ein Stück ohne Unterstützung, um durch den Fahrtwind die Bauteile zu trocknen, was auch gut gelang. Nach einem kleinen (sehr)mutigen Druck auf dem On / OFF Knopf war aber alles wieder beim alten. Verwunderung und Freunde können dann doch sehr nahe beieinanderliegen.
Neue Wege suchen und die Reststrecke mit nassen Füßen ein wenig umsichtiger zu fahren war aber ab jetzt mein primäres Motto. Ich verlasse den regulären Weg und hangele mich über Seitenstraßen entlang der Niers und einem Kieswerk weiter in Richtung dem alten Kloster Graefenthal.
<<Das Kloster Graefenthal war einst eine Zisterzienserinnenabtei, deren Überreste zwischen Kessel und Asperden nahe der Niers im heutigen Kreis Kleve stehen. Die einstige Klosterkirche diente als Grablege für Grafen, Adelige und Nonnen. Bis 1376 fanden dort 10 Grafen, Gräfinnen und Herzöge von Geldern ihre letzte Ruhestätte<< Quelle: Wikipedia
Heute ist das Kloster ein toller Hotspot für Veranstaltungen jeglicher Art. Eine wunderschöne Kulisse. Kaum habe ich das Koster verlassen, so verlässt mich erneut der Weg. Die Niers ist mir unbarmherzig denke ich, aber im Grunde ist dieses Hochwasser auch keine echte Seltenheit. Ganz im Gegenteil. Die Niers, die kleine Niers, der Nierskanal und der Trietbach werden auf Basis der neuen Erkenntnisse aus der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (was für ein Wort) schon lange auf digitalen Hochwassergefahrenkarten aufgezeichnet. Als Grundlage für die digitale Festsetzung sind die Überschwemmungsgebiete blau gekennzeichnet. Schaut man auf die Seiten vom Niersverband, so erhält man detalierte aktuelle Informationen. ( PDF Datei vom 06.03.2020)
Quelle: Bezirksregierung Düsseldorf
Ich fahre weiter in Richtung Goch und improvisiere so weit es nur möglich ist. Das Hochwasser, auch wenn nicht so richtig passierbar bietet wunderschöne Panoramen die eigentlich nur selten zu sehen sind. Ich entscheide mich ein zweites Mal, mich dem Hochwasser zu nähern, aber diesmal auf Distanz. Ich finde eine kleine Bank, und mache eine Pause. Ein mitgenommener heißer Tee kann jetzt nicht schaden.
Von weiten sehe ich langsam die St. Maria – Magdalena Kirche aus Goch. Diese Kirche hat neben dem Wahrzeichen der Stadt, dem Steintor, eine wirklich interessante und zeitnahe Geschichte: Im Mai 1993 stürzte „aus heiterem Himmel“ der Kirchturm ein und zerstörte einen großen Teil des Gebäudes. Trotz diesem Schicksalsschlag ließ sich die Gemeinde jedoch nie entmutigen, und baute ihre Kirche wieder auf, schmückt sie bis heute mit alten und neuen Kunstwerken, sodass sie wieder wie seit vielen Jahrhunderten als Stolz der Kirchengemeinde dasteht.
Die Kirche ist für mich aber auch ein Zeichen, das ich meinem heutigen Etappenziel schon sehr nahe bin. In Goch angekommen, fahre ich, da auch hier die Niers unpassierbar ist, durch viele kleine Seitenstraßen. Ich passiere einen sehr belebten Park, und gelange schließlich in die Innenstadt, wo mich das mächtige Steintor bereits begrüßt.
Das Steintor ist ein Rest aus der mittelalterlichen Befestigungsanlage in Goch. Es beherbergt das Gocher Karnevalsmuseum sowie Räumlichkeiten des Heimatvereins. Von der ursprünglichen Stadtbefestigung gibt es nur noch wenige Reste, aber das Steintor ist (auch von außen) einen Besuch wert.
Auch sehr schön anzusehen ist die ehemalige Wassermühle aus Goch, die ebenfalls in der Nähe vom Steintor liegt. Mit der Besiedlung und der 1261 erstmaligen Erwähnung der Stadt Goch, entwickelte sich am Niersbogen und am Stadtgraben eine wirtschaftliche Grundlage zur Errichtung von Wassermühlen. Die Lage war so ausgezeichnet, dass auf kurzer Strecke fünf Mühlen die Wasserkraft der Niers nutzen konnten. Im sogenannten Mühlen viertel beim Mühlentor waren dies die Ölmühle Goch.
Die Innenstadt selbst beherbergt ein schönes altes Rathaus, mit einem tollen Vorplatz, der jedoch als Parkplatz für PKW dient. Im Hintergrund die Maria – Magdalena Kirche. Unweit vom Rathaus der Stadt Goch liegt in der Frauenstraße 8 das Geburtshaus des heiligen Arnold Janssen, der hier am 5. November 1837 als Sohn eines Fuhrunternehmers geboren wurde und später in Steyl-Stadt Venlo/Niederlande das weltweite Steyler Missionswerk gegründet hat. Arnold Janssen und Goch, eine Verbindung die durch viele Denkmäler im Ort geehrt wird. Seine Seligsprechung war im Oktober 1975, die Heiligsprechung erfolgte unter Papst Johannes Paul II im Oktober 2003.
Am Rathausplatz entdecke ich wieder die kleine silberene Säule der St. Jakobus Gesellschaft. Diese signalisiert mir, das ich das Ziel der 2. Etappe erreicht habe.
Fazit: Neue Wege suchen, neue Wege gehen – trotz nasser Füße und Beine, hat mir die 2. Etappe unglaublich gut gefallen. Die Tour ist sehr frei von Verkehr und Tourismus. Entschleunigung ist hier eine wunderbare Gegebenheit, die zwangsläufig ein jeder Radler erfährt. Nimmt man sich ein wenig mehr Zeit für diese Strecke, so gibt es noch etliche tolle Dinge die entdeckt werden wollen.