Radpilgerwege Rhein Maas – Etappe 4 v. 10
Radpilgerwege Rhein Maas – Etappe 4 v. 10 Meine heutige 4. Etappe vom Pilgerweg führt mich von Kevelaer, über kleine eingebettete Ortschaften in die malerische Landschaft des Niederrheins, zum größten geschlossenen Gartenbaugebiets Europas, nach Straelen. Hautnah erlebe ich Industriezweige, die mir bislang nicht allgegenwärtig waren. Eine Fahrt mit viel Wind durch die offenen Felder im südlichen Teil des Kreises Kleve.
>>Blumen und Pflanzen gehören seit jeher fest zum menschlichen Leben. Sie finden eine vielfältige Verwendung. Stauden sowie Zimmerpflanzen, Beet-, Garten- oder Balkonpflanzen, sie tragen erheblich zur Lebensqualität bei. Wer Blumen verschenkt, sendet Botschaften wie Respekt, Zuneigung, Dankbarkeit und Liebe zu seinen Mitmenschen<< Quelle: Zentralverband Gartenbau e.V.
Und ja, Blumen und Pflanzen haben schon etwas Besonderes. Ob im Garten, auf dem Balkon, zu Hause oder in der freien Natur: Sie alle bringen neue Düfte, bunte Farben und verabreichen unser Gemüt automatisch Glücksgefühle. Neben den klassischen Schnittblumen und Zierpflanzen gibt es aber auch noch die Gemüsepflanzen – die Welt der Pflanzen lässt sich in unglaublich viele Gruppierungen und Kategorien unterscheiden.
Wird die Blume/ Pflanze jedoch der Hauptprotagonist der Industrie, so steht der Ertrag an erster Stelle. Industrieller Garten- und Landschaftsbau entwickelt sich, und neben der Freilandbepflanzung spielen Gewächshäuser einer immer wichtigere Rolle.
Aus Kevelaer heraus fahre ich über kleine Dorfstraßen, komme aber schnell in die Felder. Hier ist der Ackerbau bereits voll im Gange. Die Felder werden gepflügt und für die neue Saat vorbereitet. Schöne breite Wege lassen mich weit über die Landschaft blicken, und es fällt nicht schwer den Pilgerweg in seiner Beschilderung zu folgen.
Ich passiere die Ortschaft Twisteden und erreiche nach ein paar Kilometern die kleine Ortschaft Lülligen. Lülligen ist bekannt durch den Anbau und Verkauf von Blumen. Ein LKW nach dem anderen donnert hier über die Straßen. Mit nur einem Ziel:
Landgard, eine der Erzeugergenossenschaft für Blumen und Pflanzen sowie Obst und Gemüse in Deutschland. Bis im Jahre 2010 fanden hier die täglichen Versteigerungen für Blumen statt. Doch der Platz war zu klein, sodass das Gelände zur Versteigerung verlegt wurde. Heute wird in Lüllingen lediglich das Vertriebsgeschäft abgewickelt.
Ein Auszug aus dem Beginn dieses Imperiums lässt jedoch erahnen welche Ausmaße das Blumengeschäft für diese kleine Ortschaft gehabt hat: >>…. wurden in den 90er Jahren mehrfach die Versteigerung -Tribünenplätze aufgestockt. 1996 wurde an drei Tagen in der Woche, an vier Versteigerungsuhren, auf einer Tribüne mit 314 Plätzen versteigert. An Spitzentagen gingen fast 13.000 dänische Container über die Versteigerungsuhren in Lüllingen….<<
Entlang den riesigen Landgard – Hallen fahre ich aber wieder endlich auf kleinen Wegen abseits der Straße. Viele Gartenbaubetriebe haben bereits saisonal versetzt ihre Heidepflanzen draußen stehen. „Beauty Ladies“ soweit das Auge reicht.
Der kräftige Wind hat heute durch seine Kälte echten „Seecharakter“ und so kommt mir eine schützende Waldpassage gerade recht. Über „Stock und Stein“ gelange ich zu meiner Verwunderung an einem richtig tollen Herrenhaus. Durch den großen Torbogen der Vorburg betritt man wie in alten Zeiten das Herrenhaus Steprath. Die Vorburg selbst wird heute verpachtet. Stallung und Landwirtschaft stehen auch hier getreu der Tradition. Im Haupthaus selbst können diverse Räume für festliche Aktivitäten gemietet werden.
Bevor ich jedoch die Ortschaft Walbeck „ Das Welt – Epizentrum des Spargelanbaus“ erreiche, sehe ich aber auch die Kehrseiten des Anbaus. Nicht alle Pflanzen schaffen es in 1A Qualität in den Gartenhäusern. Ein großer Teil der Felder wirkt nun trist, und irgendwie verlassen. Die schwarzen Beregnungsmatten,auf denen die Pflanzen normalerweise in „Reih und Glied“ wie auf einer Militärparade nebeneinander stehen ergeben nun eine fast surreale Landschaft.
Das Schloss Walbeck begrüßt mich schon von weitem. Nach dem Herrenhaus Steprath, eine weitere wunderschöne Schlossanlage.
>>Das Haus war Mittelpunkt der Herrlichkeit Walbeck. Diese war im Besitz der Schenken von Nideggen. Haus Walbeck selbst wurde 1403 erstmals erwähnt. Mit dem Haus und der Herrlichkeit verbunden war das nahe gelegene Haus Steprath. Im Jahr 1452 kam es zur Teilung der Herrlichkeit. Die Teilung zwischen den Besitzern der Häuser Walbeck und Steprath dauerte bis ins 18. Jahrhundert an. Nach dem 16. Jahrhundert wechselten die Besitzerfamilien des Hauses mehrfach. Auf die von Bylandt und von Gramey folgten ab 1653 die von Bönninghausen. Nach dem Aussterben der Walbecker Linie zu Beginn des 19. Jahrhunderts wechselten die Besitzverhältnisse mehrfach, und die Anlage diente zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Wohngebäude. Im Zweiten Weltkrieg leicht beschädigt, war es danach zunächst ein Erholungsheim für Bergarbeiter. Seit 1955 war es dann Sitz des Instituts für Christliche Sozialpädagogik. Im Jahr 1980 verkaufte die Besitzerfamilie es an das Christliche Jugenddorfwerk. Schloss Walbeck ist seit dem 28. Januar 1992 auf der Denkmalschutzliste der Gemeinde Geldern als Nummer A 62 aufgeführt. Seit 2014 ist ein Hotel dort untergebracht. >> Quelle Wikipedia
In Walbeck angekommen, gibt es viel zu sehen. Natürlich dreht sich hier alles um den Spargelanbau. Die Spargelernte ist jedoch bis heute ein echter Knochenjob. Der Spargel will nämlich korrekt gestochen werden, damit im Spargelfeld keine Schäden entstehen. Diese Tätigkeit erfordert nicht nur viel Erfahrung – vielmehr ist diese Erfahrung kombiniert mit der notwendigen Geschwindigkeit das heutige A und O um maximale Erträge zu generieren. Deutsche Kräfte sieht man bei einem solchen Job so gut wie nicht. Die Saisonarbeiter aus den Ostblockländern haben sich über die Jahre sehr stark etabliert und spezialisiert. Niemand außer ihnen ist derzeit in der Lage in einem solchen Akkord – Tempo die exakt geforderte Qualität zu Ernten.
Als einziger mechanischer Helfer dient die Spargelspinne. Eine Spargelspinne ist eine Erntehilfsmaschine bei der Spargelernte, die das kontinuierliche Abernten von Spargeldämmen unter Folie ermöglicht. Es ist Wagen auf vier Rädern, der langsam über den Spargeldamm fährt. Dabei wird die Folie vor der Spinne angehoben, über den Rohrrahmen des Wagens auf etwa 1,2 m Höhe geführt und nach maschineller Glättung des Damms hinter der Spinne wieder auf den Spargeldamm aufgelegt. Währenddessen kann der Spargelstecher unter der Folie kontinuierlich den Spargel ernten. Der Spargelstecher kann die Geschwindigkeit der Spinne einstellen und diese mittels eines Seilzuges in Gang setzen. Je Hektar werden etwa zwei Spargelspinnen benötigt.
Jährlich gibt es in Walbeck einen Spargelumzug der Walbecker Spargelgenossenschaft. Die Spargelbaugenossenschaft Walbeck und Umgebung wurde am 1. Januar 1929 durch den Juristen und Major a.D. Dr. Walther Klein-Walbeck mit 55 Kleinbauern, Handwerkern und Arbeitern aus Walbeck gegründet. Heute gehören dieser Genossenschaft 41 Mitglieder an. Ziel und Zweck des Vereins ist es, den Anbau und die Vermarktung des Walbecker Spargels auf genossenschaftlicher Basis zu organisieren. Ein professionelles Handling für Käufer und Anbauer ist somit gewährleistet. Jedes Jahr wählen die Mitglieder eine neue Spargel Prinzessin. Sie darf dann in der Öffentlichkeit als Botschafterin des Walbecker Spargels auftreten.
Auch steht in der Dorfmitte eine Bronze „Die Spargelstecherin“ in der Öffentlichkeit. Früher war das „Stechen“ den Frauen überlassen und mit ihrem kleinen Spargelkorb unterm Arm, zeigt sie die ersten Anfänge des Spargelanbaus. Aus der ursprünglichen Nahrungs-Notwendigkeit heraus gilt Spargel (Die Königin des Gemüses) heute als weltweites Luxus-Nahrungsmittel.
Eine hübsche Kapelle lädt mich zu einer Pause ein. Im inneren wird eine Figur vom hl. Josef verehrt. Früher soll hier mal ein Kreuzbaum (Umgangssprachlich Pinnertboom) gestanden haben. Pinn ist “Plattdeutsch” und heißt soviel wie Schmerzen. Für manche Pilger nach Kevelaer ist das Kapellchen eine besondere Station.
Von Walbeck aus gibt sich der Pilgerweg sehr abwechslungsreich. Neben den offenen Straßen entlang den Gewächshäusern gibt es jetzt auch tolle Waldpassagen.
Nach ca. 8km erreiche ich auch das Etappenziel Straelen. Straelen selbst ist eine wunderschöne Kleinstadt. Mit Ihrem historischen Marktplatz lädt sie die Besucher zum Verweilen ein. Auch wenn Straelen ganz im Zeichen des Gartenbaus steht, so gibt es dennoch eine spannende Ausnahme. Eine Institution die weltbelkannt und zugleich unauffälig im Stadtbild integriert ist.
>>Das Europäische Übersetzer-Kollegium in Straelen ist das weltweit erste und größte internationale Arbeitszentrum für professionelle Literatur- und Sachbuch-Übersetzerinnen und Literatur- und Sachbuchübersetzer. Man kann in Straelen nicht übersetzen lernen und nicht übersetzen lassen, sondern “nur übersetzen” – aber unter idealen Bedingungen. Übersetzerinnen und Übersetzer aus allen Teilen der Welt kommen mit dem Übersetzungsauftrag eines Verlags nach Straelen, um die vielfältigen Hilfsmittel des Hauses zu nutzen, Kolleginnen und Kollegen zu treffen, miteinander zu arbeiten und Tipps und Erfahrungen auszutauschen. Übersetzungsaufträge können weder angenommen noch vermittelt werden, weil jeder Kollegiumsgast mit seiner eigenen Arbeit – dem Übersetzungsauftrag eines Verlages – anreist.<< Quelle EUR-Straelen
Fazit:
Ganz im Zeichen des Gartenbaus konnte ich auf der 4. Etappe viele schöne Eindrücke sammeln. Der Niederrhein, besonders der südliche Teil vom Kreis Kleve ist und bleibt ein besonderer Fleck. Grob fahrlässig wer hier keine Fahrradtour macht.