Zurück in die Stadt der Zukunft ! Dorsten – Das Tor zum Münsterland
Zurück in die Stadt der Zukunft ! Dorsten – Das Tor zum Münsterland. Die Region Dorsten zählt als „Das Tor“ zum Münsterland. Gleichzeitig beginnt dort aber auch die Metropolregion Rhein-Ruhr. Mit dem Fahrrad erkunde ich auf einer Rundtour die kleinen Ortschaften, und stelle schnell fest, dass diese Tour eine besondere Kontroverse zwischen Weideland, Industrie und Binnenschiffart werden wird.
Es ist Sonntag und der starke Wind hinterlässt ein kleines pfeifen in den Löchern der Bremsscheiben.
Dorsten- Wulfen mit dem besonderen Stadtteil Barkenberg ist mein Startpunkt. Ausgerechnet hier kann man sich nicht dem Mythos des Steinkohleabbaus entziehen. Tief in den Flözen unter der Erde, in der Kumpelsprache auch mal gerne „Drecksbahn“ genannt, befindet sich das wertvolle „schwarze Gold“. Früher hatte Dorsten-Wulfen sogar eine eigene Zeche. Mit dem Bau dieser Zeche im Jahre 1958 begann auch die Planung des Wohnraumes für die zukünftigen 8000 Bergmänner und dessen Familien. Modelle der Zechenkolonien wollten die zuständigen Städte jedoch nicht wiederholen, und man entschied sich für neue Wege in der Stadtplanung. 1961 richtete man einen Städtebauwettbewerb aus und mit dem Gewinner der Ausschreibung begann nicht nur eine neue Pilgerstätte für Architekturstudenten, sondern auch das exemplarisch und sehr gegensätzlich diskutierte Paradebeispiel einer Zukunfts-Planstadt mit dem Namen „Neue Stadt Wulfen“! – Heute Barkenberg
Wörter wie Utopia, Die Metastadt (Ein experimenteller Gebäudekomplex aus vorgefertigten Stahlbauteilen), oder das flexible Habiflex sind bis heute allgegenwärtige Themen in der ein oder anderen Vorlesung für heranwachsende Architekten. Es werden aber auch heute noch Diplomarbeiten und Facharbeiten über das Stadtviertel geschrieben. Modulare Bauweisen, flexible Wandkonstruktionen, ausfahrbare Balkone und eigene Dorf –in- Dorf Abschnitte wie die „Rote Finnstadt von Korhonen“ vom Stararchitekten Toivo Korhonen lassen schon die Überheblichkeit des damaligen Bauwahnsinns erahnen. Einst für 50.000 Einwohner mit eigener Infrastruktur geplant, wurde schon um 1970 die Anzahl auf 30.000 reduziert. Baumängel und Konstruktionsfehler zwangen zum Abriss der Baukasten Metastadt, und aktuell bevölkern nur noch rund 8.400 Menschen die Ortschaft Barkenberg. Auch der Bergbau musste weichen. Dennoch können bis heute die hochgeschätzten Grundplanungen der Metastadt im Haus der Geschichte in Bonn an einem Modell begutachtet werden. (Infolink: http://www.wulfen-wiki.de/index.php/Metastadt)
Ich düse mit dem Rad an dem noch stehenden und berühmten (jedoch aus Sicherheitsgründen zugemauerte) Habiflex – Gebäude entlang, und staune nicht schlecht wie modern die Fenster gestaltet sind. Leider entpuppte sich die moderne Bauweise des Habiflex als Kondensat Wunder.
Die „Rote Finnstadt von Korhonen“ bzw. die etwas jüngere „Schwarze Finnstadt“ sind jedoch noch bewohnt und zählen heute (mehr oder weniger) zu den gelungenen Beispielen modernen Wohnungsbaus. Barkenberg ist detailliert auf dem Reißbrett geplant, wirkt aber für jemanden ohne Ortskenntnisse sehr durcheinander gewürfelt. Bei den Planungen musste weder auf einen historischen Stadtgrundriss Rücksicht genommen werden, noch war der Grundstückserwerb sonderlich problematisch. Viele kleine Gassen und Brücken ergeben sich zu einem sehr großen Komplex. Außerdem sind die Gehwege mit Unterführungen und Fußgängerbrücken miteinander vernetzt, so dass die meisten Straßen ohne Ampeln, Fußgängerinseln oder Zebrastreifen überquert werden können. Zwischen neuen und schönen Designerbungalows befinden sich überall eng aneinander gepresste Sozialbauten. Wer hier Paketdienstfahrer ist braucht schon einen guten Satz Nerven und Geduld. Garagenkolonien und kleine Parkhäuser machen den Zugang zu den Häusern mit dem PKW stellenweise bewusst unmöglich, dennoch bietet das Areal Platz für Altenheime, Schulen und Parkanlagen mit künstlichen Seen. Barkenberg ist ein gutes Beispiel für eine schlechte Planung. Die ehemaligen Befürworter würden es heute aber vielleicht so formulieren:“ Die richtige Idee zur falschen Zeit am falschen Ort“
Durch einen kleinen Waldweg liegt im Lippetal das Wasserschloss Lembeck mit seinem Park sowie den Museen inmitten der Wälder und wasserreichen Wiesen des Naturparks „Hohe Mark“. Dr Schlosspark ist wunderbar, und auf dem Gelände gibt es über das Jahr verteilt diverse Veranstaltungen. Wer z.B. aus dem WDR Fernsehen das Programm „Küchenbuffet“ kennt, der sollte unbedingt auf einen Blick, oder auf einem Stück Kuchen das angrenzenden Café besuchen.
Über einen improvisierten Fahrradweg erreiche ich die kleine Ortschaft Lembeck, und später die Ortschaft Rhade. Dazwischen gibt es eine nette Milchhaltestelle. Der Abstand zwischen Erzeuger und Verkauf, sind hier kleiner als 2Meter, da die Kühe unmittelbar in einem offenen Stall an der Milchtankstelle gehalten werden. Und wider fällt mir auf: Ich liebe als Landkind den Duft der Silage.
Auf dem weiteren Weg in Richtung Schermbeck durchkreuzt man einen Teil des Landschaftsgebietes „Hohe Mark“. An einem Waldrand gelegen entdecke ich eine sehr pompös ausgebaute Aussichtshütte. Diese gibt einen tollen Blick auf einer freien Fläche der „Hohe Mark“. Hirsche soll man hier sehr gut beobachten können, aber anscheinend nicht heute.
Ich erreiche Schermbeck, und meine Fahrt in Richtung Dorsten setzte ich auf der ehemaligen Trasse der „Die Hamburg-Venloer Bahn“ fort. Die Hamburg-Venloer Bahn ist eine überregionale historische Bahnverbindung in Nordwestdeutschland, die Teil des transkontinentalen Eisenbahnprojektes „Paris-Hamburger Bahn“ war. Die ehemalige Bahn führte in Deutschland ab Hamburg über Bremen in Richtung Osnabrück. Ab Osnabrück gab es eine direkte Verbindung nach Venlo.
Der Trassenweg ist für den Radler hier im Teilabschnitt Dorten – Schermbeck gut ausgebaut. Eine wassergebundene Decke aus Sand hat jedoch so seine Tücken. Da es unglaublich windig ist, habe ich Probleme die Augen aufzuhalten. Wie in einem Sandsturm fliegen mir unentwegt kleine Körner in die Augen. (Anmerkung für meine To-Do Liste: Unbedingt mal eine Radfahrbrille kaufen)
Umrundet man den „Blauer See“ in Dortsen-Holsterhausen und kreuzt im Nachgang das Industriegebiet Baldurstraße, so gelangt man auf einem Deich zur Lippe. Hier im Poldergebiet von Dorsten liegt auch die „Selbstbedien-Fähre“ Baldur. An der Lippe entlang zu Fahren ist schon erste Sahne. Erhaben auf dem Polder auch „Stadt Park – Lippe-Polder“ genannt, kann man schon die ersten Schiffe vom Wesel –Datteln-Kanal sehen, die nur noch einen kleinen Weg zur Dorstener Schleuse haben. Ob ich woh zuerst an der Schleuse bin?
Wer in der Binnenschiffahrt den gesamten Wesel- Datteln – Kanal nutzen möchte, muss 6 Kanalstufen überwinden. Der Wesel- Datteln – Kanal ist nach dem Rhein die meistbefahrenste (Bundes-)Wasserstraße Deutschlands. Bei Kilometer 30,48 trifft man auf die Schleusen von Dorsten. Bis zu 9 Höhenmeter wollen überwunden werden. Dorsten hat 2 nebeneinanderliegende Schleusenkammern, eine große für Schiffe bis zu 135m. Sollten mehrere Schiffe im Verbund geschleust werden, so steht eine max. Länge von 186m zur Verfügung. Die kleinere Schleuse gibt hingegen eine max. Länge von 110m frei. An der Schleuse gibt es auch einen Stützpunkt der Wasserpolizei. Hier führt ein kleiner Weg hinauf zur Schleuse.
Oftmals kommt es vor das sich vor der Schleusenanlage ein Stau bildet. Die Schiffe müssen dann vor Ort fest machen. Ist ein Schiff abgefertigt, so kann das nächte in die Schleuse einfahren. Schiffe aus Richtung Wesel müssen per Bergfahrt geschleust werden, und Fahrzeuge aus Datteln beginnen an der Schleuse ihre Talfahrt.
>>Eine solche Doppelschleusung, also ein Schleusenvorgang mit Schifffahrt zu Berg und anschließend zu Tal, dauert an der großen Kammer etwa 60 Minuten, an der kleinen Kammer etwa 30 Minuten. Durchschnittlich werden pro Tag an beiden Schleusen zusammen etwa 90 Schiffe abgefertigt. << Quelle Wikipedia
Von der Schleuse aus, mache ich mich auf in Richtung Dorsten – Hervest. In Hervest holt mich die Geschichte des Bergbaus dann doch wieder ein. Eine alte, gut erhaltene und traditionelle Zechensiedlung begrüßt mich am Ende einer neuen Rad-Trassenverbindung. Die Siedlung Fürst Leopold liegt nur wenige hundert Meter vom der ehemaligen namengebende Zeche Fürst Leopold entfernt. Zentrum der Siedlung ist der Brunnenhof, ein großzügiger Platz mit geschlossenen Gebäudereihen an drei Seiten, in denen sich sowohl Wohnungen als auch Läden befanden. Als zentraler Marktplatz mit Laubengängen, Freifläche mit Baumpflanzungen und einem Brunnen in der Mitte fand hier das gesellschaftliche Leben statt. Die Gebäudereihen sind durch einen Uhrenturm in der südlichen Mitte und an den beiden Seitenflügeln durch hängende Übergänge unterbrochen, heute befinden sich hier Durchfahrten. 1987 wurde ein Teil der Siedlung unter Denkmalschutz gestellt.
In ihrer mehr als 80-jährigen Geschichte galt die Zeche Fürst Leopold als größter Arbeitgeber der Umgebung, bevor sie 2001 mit Wulfen 1 und Wulfen 2 entgültig stillgelegt wurde. Besucher können die erhaltenen historischen Bauwerke (von dem was noch übrig ist) nun neu entdecken.
Cafés, Restaurants und Eisdielen sind neben den historischen Hallen eine interessante Abwechslung. Auch wirkt das „neue“ Ambiente sehr einladend. Mit einem Eis, und mit dem Blick auf den alten Förderturm verabschiede ich mich von Dorsten-Hervest. Im vollsten Gegenwind durchquere ich das Marienviertel, fahre parallel an einem Bundeswehr Munitionslager vorbei, und passiere die Ortschaft Dorsten-Wulfen.
Wer nun Lust auf kulinarische Geschmäcke der Extraklasse hat, wird vielleicht bei Frank – Rosin´s Restaurant fündig. Heute mehr bekannt aus dem TV hat der Sternekoch Frank Rosin bereits mit 24 Jahren das Restaurant eröffnet. Das Restaurant Rosin ist ausgezeichnet mit 2 Michelin-Sternen. Mit seiner Aufschrift „Alles Schmackofatz“ (sehr wohlschmeckende Speise; Leckerei) unterstreicht das Lokal die Zugehörigkeit in dieser Region.
Als puristischer Radfahrer entscheide ich mich jedoch für Fritten mit Mayo an einer naheliegenden Pommesbude. Bis zurück nach Barkenberg ist es jetzt noch 1 km. Ich tunke die Fritten in die Mayo und stelle mir die Frage: Hat die Region durch den Verlust des Bergbau´s nun gewonnen oder verloren?
Fazit:
Was für eine tolle Strecke, was für ein übler Wind. Der Bergbau hat seine Zeichen gesetzt und wer ein bisschen mehr Zeit mitbringt, kann die Region lieben lernen. Für mich ist die Region nicht nur das Tor zum Münsterland, sondern auch ein Tor mit dem Zutritt in der vielleicht zu optimistisch-futuristisch geplanten Vergangenheit.