: terra nova – der Preis der Elektrifizierung
: terra nova – der Preis der Elektrifizierung. April – das Radelwetter lädt mich heute in eine „Zukunftslandschaft“ ein. : terra nova lautet das in Rahmen der Regionale 2010 gegründete Projekt und bezeichnet eine neue Art der Landschaftsgestaltung im Braunkohle- Abbaugebiet Hambach. Bevor es losgeht, öle ich noch schnell die Kette und suche viel zu lange meine Handschuhe in den unbekannten tiefen meines Rucksacks. Es ist gerade mal 5 Grad und ich bin doch einigermaßen überrascht, wie kalt es heute trotz des schönen Sonnenscheins ist. Von Bedburg aus geht es dann endlich los, und das erste was mir auf dem Radel auffällt, sind die Wolken aus den RWE Kraftwerken Niederaußem, Neurath und Frimmersdorf.
Ich befahre die Rekultivierungsfläche des ehemaligen Tagebaus Fortuna-Garsdorf. Schön ist, dass dieses Gebiet, anders als andere landwirtschaftlich genutzte Rekultivierungsgebiete, sich selbst überlassen ist. Das Peringsmaar ist ein künstlicher See aus einem Tagebaurestloch und liegt friedlich zu meiner rechten Seite.
Noch ein kleines Stück, und ich erreiche den Einstiegspunkt des : terra nova Speedway. Der Speedway ist eine ehemalige Fernbandtrasse, die dem Transport von Abraum diente. Die Trasse ist rund 14 km lang, und bietet eine schnurgerade Grünachse die die unterschiedlichen Projektbausteine miteinander verknüpft. Das sogenannte. „Biosphärenband“ integriert ungewöhnliche Landschaftstypen, die sich auf Materialien aus dem Tagebau entwickeln. Schrittweise vollzieht sich hier der schon längst überfällige Strukturwandel und mit : terra nova möchte man auch nach der Beendigung der Braunkohleförderung Arbeitsplätze und Perspektiven für die Region sichern.
Für Radfahrer ist diese Gerade eine wirklich interessante Strecke. Ich unterfahre viele Brücken, und beobachte Greifvögel, die das weitläufige Gebiet zu ihrem Revier gemacht haben.
Wann einst die Menschen begannen mit Braunkohle zu Heizen lässt sich wohl nicht mehr rekonstruieren. Der Grund dafür ist ganz einfach: Lange unterschied man nicht zwischen brauner Kohle und dem Brennstoff Torf. Der genutzte Brennstoff war ein Konglomerat aus Wasser, Holz und Pflanzen. Torf hatte einen hohen Wassergehalt, und die Verbrennung war meist unzureichend. Erst 1816 bildeten die Preußischen Bergbehörden die Wortschöpfung „Braunkohle“. Das Wasser wurde herausgepresst und die eimergroßen Klumpen wurden an der Luft getrocknet. Das waren Klütten, Vorläufer der Briketts, die zum Ladenhüter verdammt waren. Mit der Einführung der dampfbetriebenen Trockenpressen begann die Akzeptanz der Braunkohlenbriketts. Erst 1890 setzen sich die Briketts durch und traten ihren echten Siegeszug an. Daran war ausgerechnet die Konkurrenz, die Steinkohle von der Ruhr, nicht ganz unschuldig. Die große Streikwelle im Ruhrgebiet und damit verbundene Lieferschwierigkeiten verhalfen der Braunkohle zu ungeahnten Absatzerfolgen. Es entstand eine Brikettfabrik nach der anderen und von 1890 bis1910 verzehnfachte sich die Förderung der Braunkohle im Rheinland. Die Klütten aus den neuen Dampfpressen waren nun nicht mehr nur der Brennstoff für arme Leute vom Land, sondern auch für wohlhabende Städter.
Ich erreiche einen ersten Aussichtspunkt. Dieser ist wie eine kleine Himmelsleiter. Ist man oben angekommen, so erhält man einen weiten und tiefen Eindruck in den Tagebau. Wie viele Ortschaften dieser Fläche weichen mussten entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Auf einer Seite imponiert der Anblick in das vom Menschen geschaffene Loch. Auf der anderen Seite stimmt diese Eingriff in die Natur doch sehr nachdenklich. Waldflächen in ungeahnte Größenordnungen mussten gerodet werden und der Klüttensaurier (größter Schaufelradbagger der Welt -220 Meter lang, 96 Meter hoch, 13.500 Tonnen schwer) kennt keine Hindernisse.
An der Tagebaukante fahre ich weiter in Richtung Elsdorf. Dort entstand das Forum : terra nova; ein Information- und Ausstellungsgebäude, das Besuchern Einblicke in den laufenden Betrieb gibt undeinen Ausblick auf die Zukunftsperspektive nach Ende des Tagesbaubetriebes im Jahr 2045 ermöglicht. Dann ist die Flutung des Tagebaus zu einem riesigen See geplant. Damit schon jetzt eine Strandähnliche Stimmung aufkommt, sind vor Ort Liegestühle mit Sonnenschirmen aus Stahl montiert. Der Blick in den rund 400 Meter tiefen und 4.500 Hektar großen Canyon ist jedoch gewaltig.
Der letzte entscheidende Schritt für die Braunkohle war und ist aber die Elektrifizierung. Schon ab 1900 tauchten die ersten elektrisch betriebenen Braunkohlenbagger in den Gruben auf. Ihren Strom bekamen sie aus den Brikettfabriken. Heute landet der größte Teil der Braunkohle im Kraftwerk. Im Jahr 2008 wurden in Deutschland insgesamt 175 Millionen Tonnen abgebaut, davon rund 96 Millionen Tonnen im Rheinland und 40 Millionen allein vor Ort aus Hambach. Und eins sollte man sich Allzeit vor Augen führen: 23,5 Prozent des deutschen Stroms werden (leider immer noch) aus Braunkohle erzeugt! Wäre es keine gut Alternative die Stromnetze zu erweitern, damit der zu viel produzierte Strom auch aufgenommen werden kann? Wir haben eine Menge an Windräder, die oft still stehen müssen, weil keine Kapazitäten da sind.
Hier und da sieht man schon Windräder vom RWE, aber auch diese stehen auch heute teilweise still. Ich radle in Richtung Bergheim. Hier benutze ich oftmals den Radweg der Landstraße. Ich überquere den Wiebach, und die Autobahn. Der :terra nova Radweg ist gut beschildert und schnell bin ich in Bergheim. Bergheim liegt circa 20 km Luftlinie westlich von Köln. Durch Berheim fließt die Erft und das Tempo des Wasserstroms ist beindruckend.
Die letzten Höhenmeter der Bethlehemer Höhe verlangen keine besonneneren Reserven mehr. Oben angekommen fahre ich mit ca. 1% Gefälle durch Felder und Schotterwege wieder in Richtung Startpunkt.
Fazit:
:terra nova ist ein wirklich interessant angelegter Radweg. Ich bekomm einen guten Eindruck vom Geschehen, der mich jedoch sehr nachdenklich macht. Die Gewinnung von Strom ist neben der Speicherung wohl eins der strittigsten Themen in unserer heutigen Gesellschaft. Wir befinden uns in einem fixierten und ideologischen Feldzug der Elektromobilisierung. Solange Mensch und Natur bewahrt, alle anderen Innovationen wahrgenommen oder nicht behindert werden ist dieser Weg eine zukunftsträchtige Alternative.