Münster – zwischen Freundlichkeit und Aversion
Münster – zwischen Freundlichkeit und Aversion. Wer am tiefen Niederrhein über die Stadt Münster spricht, kommt um die manchmal klischeehaften Themen: beschauliche und traditionsreiche Westfalenmetropole, Studentenstadt, Polizeischule sowie den Sonntags-Tatort mit Thiel und Boerne kaum herum. Münster ist medial präsent aber für mich bislang sehr unauffällig. Mit dem Ruf die Fahrradhauptstadt von NRW zu sein, freue ich mich auf meinen ersten Besuch, denn auch mein Fahrradherz möchte mit mir die besondere Stadt mit dem omnipräsenten Erscheinungsbild der Fahrräder live erleben. Hat sich am Niederrhein zur holländischen Grenze das Wort „Fiets“ für Fahrrad über die Jahre eingebürgert, so wurde mir vorab mitgeteilt, dass in Münster das Fahrrad aus der Münsteraner Geheimsprache, der sogenannten Masematte, oft liebevoll „Leeze“ genannt wird.
Münster und Radfahren sei, als würde man mit einer Kehrmaschine über die empfohlenen Begriffe wie Altstadt, AA-See, Radstation oder Promenade fahren, um bei Entleerung nur noch das Wort FAHRRADKULTUR vorzufinden. Bin ich durch meinen heimatnahen Nachbarstädte (Nijmegen und Arnhem) aus den Niederlanden bereits beim Thema “FAHRRADKULTUR” sehr verwöhnt, so ist es die Lobhudelei um Münster die mich schon lange zu einem Besuch angespornt haben. In Münster angekommen entfällt jedoch sofort das Wort „Beschaulichkeit“ aus meinem heutigen Wortschatz. Münster ist mit seinen knapp über 300.000 Einwohnen dann doch größer als ich es erwartet habe. Die Naivität lässt Grüßen! Start und Zielpunkt in meiner Rundtour wird die Nord- Östlich liegende Ostmarkstraße. Denn dort besuche ich vorab eine kleine aber feine Fahrrad – Oldtimerschmiede mit dem Namen Radium Classics. BERICHT SIEHE HIER!
Schon bei der Ankunft sehe ich, dass das Radfahren hier allgegenwärtig ist. Vor den Häusern sind wie auch in den Niederlanden viele alte Fahrräder geparkt und der erste Blick zeigt, dass es sich primär um alte Räder “Stadtschlampen” handelt. Von jetzt auf gleich kommen heimische Gefühle in mir auf und ich überquere langsam nach einer ewigen Rotphase die erste größere Kreuzung Diekstraße. Mit einem Dauerhupen und einem lauten „Verpiss Dich Du Arschloch“ falle ich auf der anderen Seite angekommen vor Schreck fast vom Fahrrad. Hinter mir AUF DEM RADWEG FAHREND drängelt in einem PKW eine junge Dame, die die Einfahrt zu den rechts gelegenen Häusern nutzen möchte. Eine richtige Einfahrt von der Straße gab es jedoch nicht und mit den Schrecken in den Gliedern sowie einem Fragezeichen auf dem Kopf machte ich erstmals Platz um das “Mysterium / Hysterium” loszuwerden.
Das fing ja schon mal super an, dachte ich mir und mit keinem Deut schlauer über das gerade geschehene, begann jetzt aber auch endlich die eigentliche Fahrradroute. Super enge Bordsteinradwege sind es, die mich zu einem „Pättken“ (sehr schmaler Weg) über eine Schrebergartensiedlung in einem Büro- und Unikomplex führen. Durch eine Parkanlage und ein wenig Zickzack durch die nördliche City verlasse ich den urbanen Raum, sodass ich wenig später, schon wieder auf dem Lande bin. Die Radwege sind teilweise sehr gut ausgebaut, aber sehr eng und manchmal verwundert es, dass man nicht die Straße nutzen darf. Nach einer Weile über Land und AA-Fluss erreiche ich den bekannten Allwetterzoo und später die westlichsten Ausläufer vom AA-See.
Die neue „Boeselburg“, eine bunte Wohnstätte des Studentenwerks für 535 Studierende am Aasee geben einen ordentlichen Farbklecks ab, und linksseitig begleitet mich der AA-See mit seinen kleinen Segelbooten. Hier ist es unglaublich schön und das Wetter lädt viele Besucher auf die Wiesen. Das Epizentrum des Aa-See ist jedoch die Adenauerallee mit seinen Terrassen. Zwischen den Giant Pool Balls, die drei überdimensionalen Billardkugeln am See, welche 1977 im Rahmen der ersten Skulptur Projekten Münster vom amerikanischen Pop-Art-Vertreter Claes Oldenburg geschaffen wurden treffen sich Jung und Alt um den Tag mal Tag sein zu lassen.
Ab hier ändert sich aber auch schlagartig mein Wohlempfinden zum Thema Radfahren und Fahrradfreundlichkeit in Münster! Ein Hauen und Stecken zwischen Radfahrern, KFZ und Fußgänger scheint hier an der Tagesordnung zu sein. Überall wird beleidigt, gestikuliert oder verbal angegriffen. Auf dem Weg zum Schloss und später in Richtung Stadtzentrum konnte ich immer diverse Ausbrüche erleben. Gerade die gelobte Promenade ist durch ihre ständige Unterbrechung, und der “Jedermann Benutzung” ein markantes Nadelöhr. Kaum ein Radfahrer oder Fußgänger hält sich an die Regeln und ein jeder macht sich auf bester Pipi Langstrumpf Manier seine Verkehrsregelwelt, wie sie Ihm gefällt.
Komplizierte abbiege Vorgänge in meinem weiteren Streckenverlauf machen es mir mit dem Radfahren tatsächlich nicht einfacher und unendlich lange Rotphasen blockieren jede Art der „Grünen Welle“. Handtuchbreite Fahrradbuckelpisten zwingen mich zu dessen Nutzung und der Wust an Radfahrern kann über die Borsteinwege kaum aufgenommen werden. Auch ich arbeite mittlerweile daran, meine Nerven nicht zu verlieren. An Fotos ist jetzt nicht mehr zu denken, denn ein Stopp & GO auf den stark befahrenen Radwegen würde wohl so manchen Streit entfachen. Was in den Niederlanden recht einfach durch externe priorisierende Radwege geregelt ist, ist hier noch weit in den Kinderschuhen. Rechts abbiegende LKWs und Busse sind heute für mich oftmals eine auf mich gerichtete Waffe und ich glaube zu Weilen, das ich nochmal in die Fahrschule muss. Eine Fahrschule extra für den Umgang mit dem „Leeze“ in Münster. Vielleicht ist es aber auch einfach das heutige Pech, Münster so zu erleben.
Die Innenstadt von Münster mit seinem Prinzipalmarkt ist wahrhaftig ein toller Hot-Spot. Der Platz ist ein Stück echte Stadtgeschichte. Er zeigt die Spuren vom Mittelalter, der Hanse und den alten Kaufmannsfamilien. Mit den charakteristischen Giebelhäusern und Bogengängen bietet er dem Besucher eine besondere Atmosphäre. Ich beschließe ein wenig zu Verweilen, und bestelle mir nach dem ganzen durcheinander erstmals eine große Tasse Kaffee. Aber schon bevor der Kaffe am Tisch serviert wird, beobachte ich erneut, wie sich ÖPNV, Fußgänger und Radfahrer gegenseitig anraunzen und sich irgendwelche Schuldzuweisungen machen. Schon irgendwie unterhaltsam und lustig, aber auch völlig daneben!
Nach einer Weile verlasse ich die Innenstadt und gelange zum Bahnhof. Hier sieht es tatsächlich aus wie in so mancher niederländischen Großstadt. Berge von Rädern stapeln sich um den Bahnhof und die Radstadion scheint auch hier aus allen Nähten zu platzen. Hollandfiesen so weit das Auge reicht. Absolute Klasse!
Weniger Klasse ist jedoch die Unterführung am Bahnhof in Richtung Bremer Platz. Auch hier sind vorbildlich viele Räder auf Parkrampen geparkt. Zwischen den Parkrampen, auf einer Picknickdecken sitzen jedoch die Junkies die sich in aller Öffentlichkeit einen „Schuss“ geben. Der Bremer Platz sprengt dann jedoch alles an Vorstellungskraft. Wie aus dem Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ scheint dort die ganze Drogenszene von Münster (gut gelaunt) versammelt zu sein.
Ich fahre weiter in Richtung Dortmund-Ems Kanal. Von weiten sehe ich den Funkturm und mir wird klar, dass ich bald wieder am Startpunkt sein werde. Da die Straße saniert wird, ist die Verkehrsführung ein wenig angespannt, aber mit der Hoffnung die Baustellenradwege bald verabschieden zu können, kürze ich über das Mauritz Viertel meine Tour ab, um schnell wieder am Startpunkt sein zu können.
Fazit:
Münster ist eine sehr schöne Stadt! Bei weitem kenne ich keine zweite Stadt in Deutschland wo so viel Fahrrad gefahren wird. Die Tour gab mir viele tolle Einblicke in die westfälische Region. Die Infrastruktur für Radfahrer ist in meinen Augen (man bedenke die Masse an Rädern) schon lange in die Jahre gekommen, auch wenn an vielen Stellen dringende Baumaßnahmen stattfinden. Würden sich alle Verkehrseilnehmer in Münster ein bisschen mehr untereinander tolerieren und nicht ein jeder in einem Egotrip verfallen, so würde das ganze schon lange einen tiefen entspannten niederländischen Charakter haben! Die Vielfältigkeit der fahrenden „Leeze“ ist ein Traum, und wer es etwas ruhiger haben möchte wird spätestens am Stadtrand von dieser wunderschönen Region belohnt!
3 Comments
Didi
Ein sehr netter, recht objektiver Bericht über das Radfahren in Münster.
Schon erstaunlich, wie ein Externer die Fahrradstadt Münster erlebt.
Dass die Infrastruktur mit den Radwegen in den Niederlanden nicht mithalten kann, ist zwar wahr; an vielen Stellen aber auch nicht zu ändern, da in der gewachsenen (Innen-)Stadt Münster einfach der Platz fehlt. 🙁
Was sich sehr wohl ändern könnte, wäre das Verhalten der Verkehrsteilnehmer die in der Tat wie hier beschrieben agieren.
Da kann aber die (Verkehrs-)Politik nichts ändern, da müsste bei allen Beteiligten ein Umdenken stattfinden (leider nicht in Sicht).
Esther Es
Wunderschöne Bilder von meiner Geburts- und Heimatstadt!
Da ich hier aufgewachsen bin und lebe, empfinde ich das beschriebene Chaos nicht als solches,
für mich ist das Alltag.
Das der münsteraner Verkehrsteilnehmer aber die ganze Zeit am keifen, stänkern und meckern ist, kann ich nicht bestätigen!
Ja, kaum einer hält sich an die üblichen Verkehrsregeln,
Ja, Radlern wird ein rowdyhaftes Fehlverhalten im Verkehr nachgesagt,
Ja, gefühlt meint jeder, er müsse vorne sein,
Ja, alles schein kreuz und quer zu gehen.
Ja, alles scheint zu schmal zu eng zu viel befahren zu sein… ein tagtägliches Hauen und Stechen
Als Ortsfremder ist man damit rasch überfordert.
Ich bin damit groß geworden…
Aaaaaber als Münsteraner habe ich bereits in der Grundschule an der Verkehrserziehung teilgenommen und verhalte mich nicht wie oben beschrieben!
Ich überhole nicht rechts auf dem Gehweg
Ich rase nicht ohne Klingelzeichen an anderen Radlern vorbei
Ich fahre nicht bei rot
ich fahre nicht dort, wo ich nicht darf
Ich halte mich an die üblichen Verkehrsregeln
und ich motze auch nicht die ganze Zeit andere Menschen an (doch, mache ich wohl… im Auto für mich ganz alleine!!)
Der Münsteraner an sich, ist eigentlich recht friedfertig, gerne auf dem Rad in der Stadt und Umgebung unterwegs und entgegen seinem Ruf NICHT fremdenfeindlich, verstockt oder stur …!
fahrradherz
@ESTHER ES
….. fremdenfeindlich, verstockt oder stur! Das habe weder so geschrieben noch festgestellt. Wie im Bericht erwähnt, war es vielleicht auch einfach ein Pechtag. Die von mir (an diesem Tag) erlebte Fahrradkultur war schon sehr Eigenwillig, dennoch rate ich jeden, Münster mit dem Rad zu Besuchen. Daher steht diese Tour auch zum Download bereit. Nicht umsonst heisst der Blog ja auch fahrradherz❤
Liebe Grüsse Andre